Teil 3: Die Angst vor der Kante
Es war ein Dienstagmorgen, als Herr M. zum ersten Mal offen über sich selbst sprach – nicht als Unternehmer, sondern als Mensch. Er saß mir gegenüber, die Schultern leicht eingesunken, der Blick in die Kaffeetasse gerichtet.
„Ich bin einfach zu weich“, sagte er leise. „Ich will es allen recht machen, aber am Ende zerreißt es mich.“
Dieser Satz kam unerwartet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich vermutet, dass es vor allem um das Geschäftsmodell ging, um Marktveränderungen und Zahlen, die nicht mehr stimmten. Doch an diesem Tag wurde klar: Die eigentliche Baustelle lag viel tiefer. Und sie hatte mit Herr M. selbst zu tun.
Er erzählte mir von den Spannungen im Team – wie die Mitarbeiter untereinander Fronten bildeten, wie kleine Reibereien zu Machtspielchen wurden, und wie er immer wieder versuchte zu schlichten, statt klar zu führen. Er hasste Konflikte. Ging ihnen konsequent aus dem Weg. Und wenn er doch eingriff, dann meist zu spät und zu vorsichtig, um noch etwas zu verändern.
„Ich will doch einfach nur, dass sie sich verstehen“, sagte er. „Aber sie nutzen das aus.“
Das Unternehmen lebte im Grunde von zwei, drei langjährigen Kunden. Wenn dort der Auftragseingang stockte – und das tat er mittlerweile öfter – stand schnell alles auf wackligen Beinen. Herr M. wusste das. Und doch schien ihm der Mut zu fehlen, Veränderungen wirklich einzuleiten. Vielleicht aus Angst, die letzten stabilen Säulen auch noch zu erschüttern.
Ich bin kein Psychologe. Und ich versuche auch nicht, einer zu sein. Aber was ich sehr wohl erkannte: Herr M. war in einer Rolle gefangen, die nicht zu ihm passte – oder zumindest nicht mehr. Er versuchte, das Chaos in seiner Firma mit Harmonie zu überdecken. Doch Harmonie lässt sich nicht herbeiwünschen. Sie braucht Klarheit. Haltung. Manchmal auch Konfrontation.
Was wir an diesem Tag begannen, war kein klassisches Business-Coaching. Es war ein Gespräch über Führung. Über Mut zur Kante. Und über das Loslassen von der Vorstellung, dass es ein Unternehmen ohne Konflikte geben kann.
Ich stellte ihm eine einfache Frage:
„Was wäre das Mutigste, das Sie diese Woche tun könnten?“
Er schwieg lange. Dann sagte er:
„Ich müsste Gespräche führen, die ich seit Monaten vermeide.“

Und plötzlich wurde aus Stillstand ein Anfang…
Lean Management gilt als bewährter Ansatz, um u.a. Prozesse effizienter zu gestalten, Verschwendung zu vermeiden und den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Dennoch scheitert die Einführung von Lean in vielen Unternehmen – trotz guter Absicht, Schulungen und Projekten. Woran liegt das?
Viele Unternehmen führen Lean wie eine Methode „zum Abhaken“ ein – als Initiative mit klarer Deadline. Dabei ist Lean kein Projekt, sondern eine Denkrichtung und Führungsphilosophie, die dauerhaft gelebt werden muss. Ohne langfristiges Commitment auf allen Ebenen verpufft der Effekt.
Lean verlangt nicht nur neue Werkzeuge, sondern eine neue Haltung – vor allem bei Führungskräften. Wer Lean „top-down“ verordnet, aber nicht selbst lebt, verliert schnell das Vertrauen der Mitarbeiter. Führung bedeutet im Lean-Kontext: Vorbild sein, zuhören, befähigen statt kontrollieren.

Lean lebt von der kontinuierlichen Verbesserung – und die kommt nur zustande, wenn Mitarbeiter mitgestalten dürfen. In vielen Fällen werden Maßnahmen über ihre Köpfe hinweg entschieden. Die Folge: Widerstand, Misstrauen oder Desinteresse.
5S, Kanban, Wertstromanalyse – all das sind sinnvolle Methoden. Doch sie bringen wenig, wenn die dahinterliegende Kultur nicht stimmt. Ohne eine gelebte Haltung von Respekt, Transparenz und Fehleroffenheit bleiben Tools wirkungslos.
Oft fehlt eine klare Vision: Warum führen wir Lean ein? Was soll besser werden – für Kunden, für Mitarbeitende, für das Unternehmen? Ohne dieses „Warum“ fehlt die Motivation für den Weg dorthin. Lean ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Sinn- und Wertschöpfung.
Wer Lean wirklich leben will, braucht mehr als Workshops und Prozesse. Es braucht eine neue Haltung, die von der Führung ausgeht und Mitarbeiter einlädt, mitzudenken und mitzugestalten. Nur dann wird Lean zu einem echten Erfolgsfaktor – und nicht zur nächsten gescheiterten Initiative.
Lean Management bedeutet, den Fokus konsequent auf das Wesentliche zu richten: Wert für den Kunden schaffen – ohne Verschwendung. Dabei geht es nicht nur um schlanke Prozesse, sondern um eine Haltung der kontinuierlichen Verbesserung. Probleme werden als Chancen gesehen, Mitarbeitende als Mitgestalter.
Durch klare Strukturen, transparente Abläufe und die Einbindung aller Beteiligten entsteht eine Arbeitskultur, die effizient, lernfähig und nachhaltig erfolgreich ist. Lean Management ist kein kurzfristiges Optimierungsprogramm, sondern ein langfristiger Weg zu mehr Qualität, Kundenzufriedenheit und echter Teamarbeit.
Wenn Lean Management wirkt: Wie sich echter Erfolg anfühlt
Wenn Lean Management erfolgreich umgesetzt ist, verändert sich mehr als nur die Effizienz im Unternehmen – es verändert das Denken, das Miteinander und die Art, wie Arbeit erlebt wird.

Die Atmosphäre in den Teams ist geprägt von Klarheit, Struktur und Vertrauen. Jeder weiß, was zu tun ist, warum es wichtig ist – und wie die eigene Arbeit zur Wertschöpfung beiträgt. Es herrscht kein hektisches Feuerlöschen mehr, sondern zielgerichtetes Arbeiten an klar definierten Prozessen. Probleme werden nicht unter den Teppich gekehrt, sondern offen angesprochen – und gemeinsam gelöst.
Mitarbeitende erleben, dass ihre Ideen gehört und geschätzt werden. Sie sind aktiv beteiligt an Verbesserungen, fühlen sich verantwortlich und ernst genommen. Die tägliche Arbeit wird nicht mehr als lästige Pflicht erlebt, sondern als sinnvolle Aufgabe, auf die man Einfluss hat.
Führung verändert sich vom Entscheider zum Coach: Wer führt, gibt Orientierung, schafft Raum für Entwicklung und unterstützt seine Teams beim Wachsen.
Und auf der Ergebnisebene? Produkte und Dienstleistungen werden schneller, besser und kundenorientierter. Die Qualität steigt, die Verschwendung sinkt, die Prozesse laufen stabiler. Doch das Entscheidende ist: Der Erfolg ist nachhaltig, weil er auf einer Kultur der kontinuierlichen Verbesserung basiert – getragen von den Menschen im Unternehmen.
Kurz gesagt:
Wenn Lean wirklich lebt, dann wird Arbeit einfacher, sinnvoller und erfolgreicher – für alle Beteiligten.