Teil 6 – Sichtbar machen, was unsichtbar war
Herr M. hatte einen entscheidenden Schritt gemacht.
Zum ersten Mal in all den Monaten hatte ich gesehen, wie er stillstand – im besten Sinne. Er hetzte nicht, drückte nichts weg, lenkte sich nicht ab. Stattdessen beobachtete er seine Mitarbeiter. Fragte sich: Was tun sie gerade? Was beschäftigt sie? Was hindert sie daran, ihre Arbeit gut zu machen?
Und dann wandte er sich an mich. Offen. Suchend.
„Ich will verstehen, was hier läuft. Ich will wissen, was sie brauchen. Und wo ich helfen kann.“
Ich spürte, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war, um ihm meine Idee vorzustellen.
Meine Antwort: Struktur statt Bauchgefühl
Ich sagte:
„Herr M., ich möchte mit Ihnen gemeinsam ein tägliches Format einführen. Kurz, klar und wiederholbar: ein tägliches Stand-up-Meeting.“
Er schaute mich fragend an. Ich fuhr fort:
„Jeden Tag – zur gleichen Zeit. Maximal 15 Minuten. Jeder Mitarbeiter nimmt teil, auch Sie. Und wir machen sichtbar, was bisher verborgen blieb.“
Ich erklärte ihm, worum es geht:
Woran arbeitet gerade jeder Einzelne?
Wo gibt es Hindernisse oder Probleme, die den Fortschritt blockieren?
Welche Maßnahmen ergreifen wir um Hindernisse aus dem Weg zu räumen?
Wer ist verantwortlich? Bis wann ist das Problem gelöst?

Und all das schreiben wir auf – sichtbar für alle, an einem zentralen Board, das wir gemeinsam entwickeln.
Nicht für alles – aber für das Richtige
Ich machte Herrn M. auch eines klar:
Das Board ist kein Sammelplatz für große strategische Fragen oder komplexe Dauerthemen. Es geht um kleine, alltägliche Probleme, die schnell gelöst werden können – aber trotzdem den Arbeitsfluss blockieren.
Natürlich dürfen auch größere Themen auftauchen. Aber sie müssen dann bewusst ausgelagert und in einem anderen Format bearbeitet werden.
Denn:
Kein Problem soll monatelang auf diesem Board stehen.
Dafür ist das Stand-up nicht gemacht. Es ist kein Kaffeekränzchen, sondern ein fokussiertes Ritual, das Klarheit schafft – und Bewegung.
Aber:
Der Spaß darf trotzdem nicht zu kurz kommen.
Ein Lächeln, ein lockerer Spruch, ein kleines gemeinsames Lachen – all das macht aus einem Pflichttermin ein Teamritual.
Führung durch tägliches Feedback
Ganz besonders wichtig war mir auch:
Dieses tägliche Stand-up gibt Herrn M. die Möglichkeit, direktes Feedback zu geben.
Was lief gut?
Was kann besser gemacht werden?
Wo wurde ein Problem elegant gelöst – und wo hat sich jemand besonders engagiert?
Fehler dürfen – nein, sollen – offen angesprochen werden.
Denn sie sind kein Zeichen von Schwäche. Sie sind Gelegenheiten. Lernmomente.
Und wenn man den Mut hat, über Fehler zu sprechen, kann man sie gemeinsam feiern – als Beweis, dass man wächst.
So entsteht jeden Tag ein bisschen mehr Klarheit. Und jeden Tag die Chance, ein kleines Stück besser zu werden.
Ein neues Ritual entsteht
Noch war nichts eingeführt. Aber wir hatten begonnen, das Board zu skizzieren. Erste Entwürfe. Erste Ideen. Erste Vorfreude.
Herr M. war bereit, Verantwortung neu zu denken.
Und ich war bereit, ihn dabei zu begleiten.
Wie das Board eingeführt wurde und wie das erste Stand-up verlief – und vor allem wie es mit der Vision weiter ging, davon erzähle ich im nächsten Teil.