Das tägliche Stand-up-Meeting gewann mit der Zeit an Routine. Es lief inzwischen fast von alleine. Einige Probleme wurden angesprochen, manche sogar recht schnell aus der Welt geschafft. Es gab Lob, Kritik, Feedback – kurz gesagt: Es lebte. Herr M. war meistens dabei, wenn auch nicht immer. Ich selbst war in den ersten Wochen fast täglich vor Ort. Hin und wieder griff ich ein, aber eher selten – und wenn, dann wegen Kleinigkeiten.
Doch mit der Zeit begann ich genauer hinzusehen.
Da war eine Mitarbeiterin – die stellvertretende Geschäftsführerin. Fachlich top, sehr zuverlässig, eine Frau, auf die man sich verlassen konnte. Aber bei den Meetings hatte ich das Gefühl, dass sie das Ganze nicht wirklich ernst nahm. Immer wieder dieser bestimmte Blick. Ein leichtes Grinsen, fast so, als würde sie innerlich den Kopf schütteln. Ich konnte es nicht genau greifen, aber es fühlte sich an, als würde sie die ganze Sache belächeln.
Ich fragte mich: Warum? War es Ablehnung? Gleichgültigkeit? Oder einfach nur ihre Art, Distanz zu zeigen? So richtig deuten konnte ich es nicht.
Gleichzeitig fiel mir ein anderer Mitarbeiter auf – ein langjähriger Kollege, jemand, der für das Unternehmen unglaublich viel geleistet hatte. Fachlich war er über jeden Zweifel erhaben, ein echter Leistungsträger. Aber im Stand-up blieb er mehr und mehr im Hintergrund. Er sprach kaum, hielt sich zurück, als wolle er gar nicht auffallen.
Das ließ mir keine Ruhe. Ich nahm mir vor, Herrn M. darauf anzusprechen.
Ein paar Tage später saßen wir zusammen. Ich schilderte ihm meine Eindrücke. Dass die Stellvertreterin die Meetings vielleicht nicht so ernst nimmt. Dass der langjährige Mitarbeiter sich mehr und mehr entzieht. Herr M. hörte zu – und ich hatte das Gefühl, dass er längst wusste, wovon ich sprach.
„Ja“, sagte er schließlich. „Das ist mir auch aufgefallen.“ Er machte eine kurze Pause, atmete tief durch und sah mich ernst an. „Zwischen den beiden gibt es seit langer Zeit etwas… einen Konflikt, der nie wirklich ausgesprochen wurde. Es schwelt schon seit Jahren. Man redet nicht darüber, man geht sich aus dem Weg, aber die Spannung ist immer da.“
Plötzlich machte vieles Sinn. Das belächelnde Grinsen der Stellvertreterin. Das Schweigen des langjährigen Mitarbeiters. Beides war weniger eine Reaktion auf das Stand-up-Meeting, sondern vielmehr Ausdruck einer festgefahrenen Situation zwischen den beiden.
Und da war mir klar: Wir hatten es nicht nur mit der Einführung einer neuen Methode zu tun, sondern mit einem Konflikt, der tief im Unternehmen verankert war. Ein Konflikt, der, wenn er nicht gelöst wurde, jederzeit die Stimmung im Team vergiften konnte.
Für mich stand fest: Hier lag eine große Aufgabe vor uns. Nicht für das Board, nicht für das Stand-up. Sondern für Herrn M. als Führungskraft – und auch für mich als Begleiter.
Der Weg, den wir eingeschlagen hatten, würde uns bald noch intensiver in Richtung Konfliktlösung führen…