Teil 5 – Die Vision: Eingeschlossen und aufgeschlossen
Die Sonne schien an diesem Tag durchs Bürofenster, aber wir bekamen davon kaum etwas mit. Herr M. und ich hatten uns im kleinen Besprechungsraum seines Unternehmens eingeschlossen – wortwörtlich. Keine E-Mails, keine Anrufe, keine Unterbrechungen. Nur wir zwei, ein Flipchart, ein Block Papier und viele unbequeme Fragen.
Denn wir wollten sie endlich finden: die Vision seines Unternehmens.
Nicht die altbekannte Unternehmensbeschreibung, die seit Jahren auf der Website stand und die sich bestenfalls als Imagebroschüre eignete. Sondern eine echte Vision. Eine, die leitet. Eine, die inspiriert. Eine, die den Kurs vorgibt – für ihn, für seine Mitarbeiter, für das ganze Unternehmen.
Es war mühsam.
Wir diskutierten. Verwarfen. Formulierten neu. Schweigen wechselte sich mit intensiven Gedankengängen ab. Mal war Herr M. euphorisch, dann wieder verunsichert. Immer wieder fragten wir uns: Was ist das Warum? Was ist der Beitrag für die Kunden – und für die Welt da draußen?
Wir trafen uns mehrfach. Immer wieder schlossen wir uns ein. Und dann lag sie da:
Die Vision.

Klar, einfach, kraftvoll.
Kein leeres Marketing-Versprechen, sondern ein echtes inneres Bild der Zukunft, das für Herrn M. stimmig war. Und das etwas in ihm veränderte.
Ein paar Nächte später…
Herr M. ließ sich Zeit mit seiner Vision. Er trug sie nicht direkt hinaus in die Welt, sondern nahm sie mit nach Hause – in seinen Kopf, in sein Herz. Er dachte darüber nach. Schlief mehrere Nächte darüber. Knetete sie in seinem Inneren, bis sie sich ganz richtig anfühlte.
Und dann, ein paar Tage später, klingelte mein Telefon.
„Wann machen wir weiter?“ fragte er – voller Tatendrang.
Er wirkte fast ein wenig ungeduldig. Aber ich verstand ihn. Nach so langer Unsicherheit hatte er nun zum ersten Mal das Gefühl, dass er etwas in der Hand hielt. Einen Anker. Einen Kompass.
Also besuchte ich ihn wieder.
Beobachten statt treiben
Seine Mitarbeiter waren an diesem Morgen tief in ihre Arbeit vertieft. Niemand sah sich um, niemand hetzte. Es herrschte eine gewisse Ernsthaftigkeit, aber auch Konzentration.
Was mir auffiel: Herr M. lief nicht mehr rastlos durchs Büro. Er stand einfach da – und beobachtete.
Ich sah, wie er nachdachte. Wie er die Gesichter seiner Mitarbeiter betrachtete. Vielleicht fragte er sich in diesem Moment, was jeder Einzelne da eigentlich gerade tat. Ob sie schon verstehen wohin die Reise gehen soll. Ob sie sich mitgenommen fühlten. Ob sie Probleme hatten – oder einfach nur still arbeiteten, ohne zu fragen.
Und dann sah er mich.
Er winkte mich zu sich.
„Ich bin mir nicht sicher, was hier jeder gerade tut“, sagte er leise.
„Aber ich will es wissen. Ich will verstehen, was hier läuft. Was die aktuellen Themen sind. Wo es Probleme gibt. Und wo ich unterstützen kann.“
Ich war innerlich sehr glücklich über seine Worte.
Denn das war kein Aktionismus. Kein Kontrollwunsch. Das war echtes Interesse. Der Wunsch, Verantwortung zu übernehmen. Führen zu wollen – nicht von oben, sondern von innen heraus.
Ich sah ihn an und sagte nur:
„Ich habe da eine Idee…“
Was das für eine Idee war, erzähle ich im nächsten Teil.…
Nach unseren Gesprächen über Führung und Selbstbild war für mich klar: Wenn Herr M. wirklich etwas verändern wollte, musste er sich selbst im Alltag erleben. Ungefiltert. Also machte ich ihm einen Vorschlag:
„Lassen Sie mich Sie ein paar Tage bei Ihrer täglichen Arbeit begleiten. Ich beobachte, wie Sie führen, wie Sie kommunizieren – und gebe Ihnen direkt, ehrlich und zeitnah Feedback.“
Er zögerte kurz, dann sagte er: „Das brauche ich. Machen wir.“
Ich begleitete ihn durch seinen Arbeitsalltag – beobachtend, zurückhaltend, aber aufmerksam. In Meetings, bei Gesprächen mit Mitarbeitern, zwischendurch auf dem Flur. Es dauerte nicht lange, bis sich ein klares Bild zeigte: Herr M. versuchte Konflikten aus dem Weg zu gehen, regelte Spannungen mit freundlichen Worten, wo klare Ansagen nötig gewesen wären, kam immer ein irgendwie seltsam freundliches Grinsen. Er war bemüht, Harmonie zu schaffen – und verlor dabei oft die Führung.
Am Abend setzten wir uns zusammen. Ich beschrieb ihm meine Beobachtungen, offen und respektvoll. Keine Vorwürfe, kein Urteil – nur ein ehrliches Spiegelbild dessen, was ich gesehen hatte.
Herr M. hörte aufmerksam zu. Er nickte oft, sagte lange nichts. Und dann, plötzlich, kämpfte er mit den Tränen. „Ich wusste, dass ich mich nicht traue, klare Entscheidungen zu treffen. Aber so deutlich hat es mir noch nie jemand gezeigt.“

Es war ein bewegender Moment. Kein Zusammenbruch – sondern eine ehrliche, menschliche Reaktion auf eine Wahrheit, die lange unter der Oberfläche geschlummert hatte. Ein Moment, in dem Veränderung nicht mehr nur ein Ziel war, sondern eine Notwendigkeit. Und eine Chance.
Ein paar Tage später stellten wir die nächste Frage:
„Was ist eigentlich Ihre Vision für dieses Unternehmen?“
Herr M. griff mit gewohnter Sicherheit in die Schublade und legte mir ein Dokument vor. „Hier, das ist unsere Vision.“
Ich las. Es war gut formuliert, professionell aufbereitet – doch es war keine Vision. Es war eine Beschreibung des Status quo. Eine Aufzählung dessen, was das Unternehmen heute leistet. Kein Bild von dem, was es einmal sein will.
Ich sah ihn an und sagte ruhig:
„Das ist keine Vision. Das ist ein Ist-Zustand.“
Er schwieg. Dann: „Dann müssen wir da wohl auch nochmal ganz von vorne anfangen.“
Ich bot ihm an, ihn bei diesem Prozess zu begleiten – bei der Entwicklung einer echten Vision, die Orientierung gibt, motiviert, und die auch den Mitarbeitern zeigt, wofür sich ihr Einsatz lohnt. Herr M. nahm das Angebot dankbar an.
Es war kein Rückschritt. Es war der erste echte Schritt nach vorn.
Gedanken am Abend
Manchmal, am Ende eines langen Tages, setzte ich mich in mein kleines Büro. Keine Gespräche, keine Zettel an der Wand – nur ich, mein Notizbuch und der leise Nachhall des Tages. Und an diesen Abenden dachte ich oft:
Wie konnte dieses Unternehmen all die Jahre überhaupt funktionieren?
Kein echtes Leitbild, keine gemeinsame Richtung, kein stabiles Führungsverständnis – und trotzdem hatte es wirtschaftlich über weite Strecken funktioniert. Das war bemerkenswert. Vielleicht sogar ein bisschen absurd.
Und gleichzeitig war mir klar: Dieses Unternehmen war im Kern eine Goldgrube. Mit dem richtigen Fokus, mit klarer Führung, mit einem gemeinsamen Ziel – hier schlummerte ungeahntes Potenzial.
Also begann ich, für mich selbst einen Fahrplan zu entwerfen. Einen Weg, wie ich Herrn M. helfen konnte, „härter“ zu werden – nicht im zwischenmenschlichen Sinn, sondern im Verständnis von Verantwortung, Klarheit und Konsequenz. Härter zu sich selbst. Und härter gegenüber den Prozessen, die tagtäglich über Erfolg oder Misserfolg entschieden.
Konflikte dürfen nicht weggeschoben werden, bis sie explodieren. Führung heißt nicht, es allen recht zu machen – sondern für das Ganze Verantwortung zu übernehmen.
Ich schrieb diesen Fahrplan für Herrn M.
Für sein Unternehmen.
Und auch für seine Mitarbeiter.
Die Arbeit begann gerade erst.
Teil 3: Die Angst vor der Kante
Es war ein Dienstagmorgen, als Herr M. zum ersten Mal offen über sich selbst sprach – nicht als Unternehmer, sondern als Mensch. Er saß mir gegenüber, die Schultern leicht eingesunken, der Blick in die Kaffeetasse gerichtet.
„Ich bin einfach zu weich“, sagte er leise. „Ich will es allen recht machen, aber am Ende zerreißt es mich.“
Dieser Satz kam unerwartet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich vermutet, dass es vor allem um das Geschäftsmodell ging, um Marktveränderungen und Zahlen, die nicht mehr stimmten. Doch an diesem Tag wurde klar: Die eigentliche Baustelle lag viel tiefer. Und sie hatte mit Herr M. selbst zu tun.
Er erzählte mir von den Spannungen im Team – wie die Mitarbeiter untereinander Fronten bildeten, wie kleine Reibereien zu Machtspielchen wurden, und wie er immer wieder versuchte zu schlichten, statt klar zu führen. Er hasste Konflikte. Ging ihnen konsequent aus dem Weg. Und wenn er doch eingriff, dann meist zu spät und zu vorsichtig, um noch etwas zu verändern.
„Ich will doch einfach nur, dass sie sich verstehen“, sagte er. „Aber sie nutzen das aus.“
Das Unternehmen lebte im Grunde von zwei, drei langjährigen Kunden. Wenn dort der Auftragseingang stockte – und das tat er mittlerweile öfter – stand schnell alles auf wackligen Beinen. Herr M. wusste das. Und doch schien ihm der Mut zu fehlen, Veränderungen wirklich einzuleiten. Vielleicht aus Angst, die letzten stabilen Säulen auch noch zu erschüttern.
Ich bin kein Psychologe. Und ich versuche auch nicht, einer zu sein. Aber was ich sehr wohl erkannte: Herr M. war in einer Rolle gefangen, die nicht zu ihm passte – oder zumindest nicht mehr. Er versuchte, das Chaos in seiner Firma mit Harmonie zu überdecken. Doch Harmonie lässt sich nicht herbeiwünschen. Sie braucht Klarheit. Haltung. Manchmal auch Konfrontation.
Was wir an diesem Tag begannen, war kein klassisches Business-Coaching. Es war ein Gespräch über Führung. Über Mut zur Kante. Und über das Loslassen von der Vorstellung, dass es ein Unternehmen ohne Konflikte geben kann.
Ich stellte ihm eine einfache Frage:
„Was wäre das Mutigste, das Sie diese Woche tun könnten?“
Er schwieg lange. Dann sagte er:
„Ich müsste Gespräche führen, die ich seit Monaten vermeide.“

Und plötzlich wurde aus Stillstand ein Anfang…
Teil 2: Alte Zöpfe und neue Fragen
Ein paar Tage nach unserem ersten Telefonat saß ich mit Herr M. an einem Besprechungstisch in seinem kleinen Besprechungsraum. Keine PowerPoint, kein Flipchart, keine vorbereiteten Diagramme. Nur Kaffee, ein Notizbuch – und viele offene Fragen.
Herr M. war angespannt. Nicht unfreundlich, aber spürbar zerrissen zwischen Frust und Hoffnung. „Ich will, dass sich was ändert. Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mal mehr, warum ich das alles eigentlich mache.“
Das saß. Und es war der erste wirklich wichtige Satz, den er an diesem Tag sagte.
Viele Geschäftsführer reden über Strategien, Prozesse, Umsätze. Herr M. sprach über sich. Und das war gut so – denn genau da beginnt echte Veränderung: beim Blick in den Spiegel, nicht auf das Zahlenblatt.
Wir begannen, das Unternehmen zu durchleuchten. Nicht analytisch im klassischen Sinn, sondern erzählerisch. Ich ließ ihn reden, fragte nach, spürte nach. Was hat er aufgebaut? Was war ihm mal wichtig? Was treibt ihn heute an? Und was lähmt ihn?
Die Gespräche gingen tief und es liefen sogar Tränen., Und schnell wurde klar: Es gab viele alte Zöpfe, die abgeschnitten gehörten. Prozesse, die nur noch aus Gewohnheit liefen. Rollenverteilungen, die längst überholt waren. Und mittendrin: ein Geschäftsführer, der immer mehr das Gefühl hatte, sein Unternehmen lebe ein Eigenleben, das nicht mehr zu ihm passte.
Ich erinnere mich an einen Moment besonders gut: Herr M. sagte mit leiser Stimme, fast wie zu sich selbst: „Vielleicht hab ich zu lange versucht, das Bild eines Unternehmers zu erfüllen, das gar nicht meins ist.“ Und plötzlich war da keine Strategie mehr wichtig. Nur noch Ehrlichkeit.
In diesem Moment dachten wir beide nicht an Wachstum oder Marktanteile. Wir dachten an Sinn. An Identität. Und an den Mut, Dinge infrage zu stellen, die man selbst erschaffen hat.
Es war der Anfang eines langen Weges. Und ich ahnte schon: Einfach würde das nicht werden. Und ich sollte Recht behalten…
Teil 1: Der Ruf nach Veränderung
Es war Vormittag, als mein Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung: ein Geschäftsführer, nennen wir ihn Herr M. Die Stimme klang ruhig, aber zwischen den Zeilen lag eine gewisse Dringlichkeit. Er hatte von JEHK LeanVision gehört und wollte „endlich was ändern“. An seinem Geschäft. An sich selbst. An allem.
Herr M. führt ein kleines Unternehmen irgendwo zwischen Tradition und Moderne. Die Zahlen? „Nicht wie gewünscht“, wie er es formulierte. Die Mitarbeiter? „Irgendwie nicht so, wie ich sie brauche“. Es war kein klassisches Erstgespräch. Es klang eher wie ein Geständnis.
Er sprach viel. Über sein Geschäftsmodell, seine Ziele, seine Enttäuschungen. Und über diesen tiefen Wunsch, dass es anders werden müsse. Was genau „anders“ bedeutete, konnte er an diesem Tag noch nicht sagen. Aber der Wunsch war da. Stark genug, um mich zu rufen.
Was dann passierte, war keine klassische Beratung. Es war ein gemeinsamer Weg – geprägt von Versuch und Irrtum, von Hoffnung und Rückschlägen. Und ja, auch vom Scheitern. Nicht nur auf seiner Seite. Auch auf meiner. Veränderung ist selten ein gerader Weg. Sie ist manchmal ein Irrweg, der sich am Ende doch als richtig entpuppt. Und manchmal auch nicht…
In den nächsten Teilen dieser Reihe erzähle ich von unserem gemeinsamen Prozess – ehrlich, ungeschönt und mit der Hoffnung, dass unsere Geschichte anderen Mut macht. Mut zur Lücke. Mut zur Veränderung. Und Mut zum Scheitern.
Denn genau da beginnt oft der wichtigste Teil der Reise.